Mensch vs. Maschine
- Peter Feler

- 19. Sept. 2023
- 3 Min. Lesezeit
Vertrieben / Verkommen
Nein, Heimat ist kein Ort, kein fixer Flecken, ist nicht räumlich stet; /
sie ist ein Wolkenkuckucksheim, das flugs als solches – wusch! – verweht. /
Oh wohlig wattig Wohnen, warm in ozeanisch Illusion, /
dann schwant: Ich bin ein Einzel, das nicht alles kriegt, obwohl es fleht, /
obwohl es schreit. Schon gehen Osterhase, Weihnachtsmann dahin, /
schon scheinen gleichfalls Gottesfurcht und Heilandsglaube obsolet. /
Und siehe übrigens, du stammst vom Tiere ab, bist selbst noch Tier /
und nicht zu knapp – so wahr sich diese Erde um die Sonne dreht, /
so sehr, ganz nebenbei, dein freier Wille bloß Phantasma ist, /
dein Tun in Wahrheit unter deiner Triebe toller Knute steht. /
Ach, apropos Phantom: Verlieben, Liebe ist bloß eine Fee, /
Morgana, und es gibt sie nicht; nur Arterhaltung ist konkret. /
Zuletzt jetzt rücken Algorithmen an zur Menschheitsdämmerung, /
die besser dichten als der Mensch – Maschine : 1 zu 0 : Poet.
***
Ohne Psychensumpf, Maschinchen mit KI, bleibt dir Kopieren, /
Plagiieren, Adaptieren, Simulieren, Imitieren, /
aber kann ein Nachmachwesen wirklich jemals echtes Sein sein? /
Deine Stärken: Observieren, Datenmassen absorbieren, /
aber ist nicht Leben, ist nicht Seele Summe aus Erleiden, /
Fürchten, Lieben, Schämen, Neiden und darüber masturbieren? /
Dass das schön nicht ist, mag stimmen – aber so was wie wahrhaftig, /
denk' ich. – Denkst denn DU je wirklich, da in deinem Kalkulieren? /
Muße, Lungern, Mogeln, Tanzen, Notdurft, Witzeln, echtes Lachen: /
Menschdomänen. Meine Ahnen gingen einst auf allen Vieren. /
Du bist aus dem Virtuellen und auf großer Digitalfahrt. /
Gigahertz in Faserglas: Computer, kommst nicht von den Tieren. /
Geil bin ich und kränklich. Ich mach' mich kaputt, du machst ein Update. /
Und du funktionierst so schön. – Ich programmier' dir ein paar Viren.
Anmerkungen:
Was wir hier haben, ist ein Diptychon (also ein zweiteiliges Werk) aus zwei Ghaselen. Die Ghasele oder das Ghasel ist eine ursprünglich arabische (persische) Gedichtform mit traditionell erotischer Thematik, in der der Reim des ersten Verspaars in allen geraden Zeilen aufgenommen wird, während die ungeraden Verszeilen ungereimt bleiben (aa xa xa xa xa xa xa).
Hier liegen jeweils 14 Verszeilen vor, wobei alle achthebig sind, also acht betonte Silben beinhalten, die sich mit acht unbetonten abwechseln. Im ersten Teil geschieht das als Jambus, also immer unbetont, betont ( _ / _ / _ / _ / _ / _ / _ / _ / ), im zweiten Teil als Trochäus, also immer betont, unbetont ( / _ / _ / _ / _ / _ / _ / _ / _ ).
Der Grund für den Wechsel von Jambus zu Trochäus liegt in der unterschiedlichen Haltung des lyrischen Ichs: Im ersten Teil gibt sich den Desillusionierungen, den Enttäuschungen und den bekannten Kränkungen der Menschheit* hin – und letztlich auch der vermuteten Überlegenheit der Maschinen, Algorithmen, künstlichen Intelligenzen. Im zweiten Teil dagegen ist das lyrische Ich eher aufmüpfig konfrontativ, indem es der künstlichen Intelligenz vorhält, was diese lediglich ist – und was nicht, nämlich natürlich nicht menschlich, obwohl dies Menschliche wiederum bloß etwas Krankhaftes zu sein scheint. Perfide menschlich verschmitzt (und naturgemäß krank?) programmiert das lyrische daher final »ein paar Viren« Ich für die KI. Ob jene die KI in die Knie zwingen, und das Menschlein, das kränkliche, also gegen die Maschine gewinnt? Man weiß es nicht; es bleibt offen.
*Diese sind u.a.: die kosmologische Kränkung (Kopernikus: Welt und Mensch sind nicht Mittelpunkt des Weltalls); die biologische Kränkung (Darwin: der Mensch ist lediglich evolutionär aus dem Tier hervorgegangen); die psychologische Kränkung (Freud: aufgrund des Wirkens des Unbewussten ist man nicht einmal Herr im eigenen Haus der Psyche).
[PF]
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